08.05.05

Hochzeitstag

Kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten war klar, dass wir zusammenbleiben wollten. Problem allerdings, die Nationalität. Ich war Ausländerin bei ihm, er war Ausländer bei mir. Und zwischen Österreich (ich) und Deutschland (er) da ging es zu dieser Zeit wirklich ausländisch ab. Österreich war noch nicht mal bei der EU, halber Ostblock, und beide Länder sehr misstrauisch und rigide bei der Ausstellung von gegenseitigen Aufenthaltserlaubnissen.

Was blieb uns übrig. Zusammenbleiben wollten wir ohnehin, das mit der ständigen „Aufenthaltsbürokratie“ wurde irgendwann mal sehr lästig, der einzige Ausweg also - heiraten. Ursprünglich war unser Traum ab nach Las Vegas, rein in eine Wedding Chapel, Trauzeugen von der Straße mieten und YES sagen. Danach in ein schmieriges Chinarestaurant. Nur irgendwie wagten wir das dann doch nicht. “Was sagen die Eltern, die Freunde, geht doch nicht.“ Abgesehen davon hatten wir auch nicht so viel Geld, um uns einen Flug nach USA leisten zu können. Also eine kleine, schnelle, heimliche Hochzeit in Erlangen. Doch trotz der kurzen Zeit „übrigens in zwei Wochen heiraten wir“ – und der fehlenden Einladungskärtchen sagten sich immer mehr Menschen an. „IHR heiratet? Echt? Das will ich sehen“. Also gut, geben wir den Leuten ihren Willen, dachten wir, und mieteten die Disko eines Bekannten – so für den Nachmittag bis 21:00.

Die Hochzeitszeremonie selbst bestand bei mir aus einem permanenten Kampf gegen einen nicht enden wollenden Lachkrampf, ausgelöst durch die einleitenden Worte des Standesbeamten. „Sie sind vor mich getreten, um ihr Verhältnis legalisieren zu lassen“. Hinter mir hörte ich Mutter und Schwiegermutter schluchzen, unsere Trauzeugen kamen zu spät aber dafür im Frack, und als wir dann, endlich verheiratet, aus der Standesamtstür traten, stand da der alte Onkel Siegfried aus dem Sudetenland und spielte auf seiner leicht verstimmten Geige: „Heut kommen d' Engerln auf Urlaub nach Wean ...“. Es war wunderbar absurd.

Nun muss man sagen, dass der 6. Mai 1988 ein wunderschöner Tag war. Der heißeste 6. Mai seit Aufzeichnung der Wetterdaten im Jahre 1865. Mindestens. Und diese Disko war ein dunkles Loch. Die Leute, die uns sehen wollten, kamen zwar alle, aber sehr sporadisch. Verständlich, auch ich wäre an einem solchen Tag lieber im Biergarten gesessen oder hätte eine Radtour gemacht. Für uns bedeutete es allerdings, dass wir von 14:00 bis 21:00 gemeinsam mit einem harten Kern in dieser trostlosen, leeren Disko ausharren mussten, einen Gin Tonic nach dem anderen tranken und uns die Zeit mit dem Auflegen von Schallplatten vertrieben.

Irgendwann kam jemand auf die glorreiche Idee, mich zu entführen. Sie brachten mich in eine dieser Radio Kneipen, die damals sehr modern waren. Zwei der Entführer fingen heftig an miteinander zu flirten, der dritte kotzte auf den Boden, ich wartete. Eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden, nichts passierte. Zufällig waren zu diesem Zeitpunkt Cassandra Complex auf Tour und stellten in genau diesem Radiosender ihre neue LP vor. Aus lauter Mitleid mit mir schenkten sie mir eine ihrer Schallplatten. Signiert. Und der Radio-DJ rief in den Erlanger Äther: „Hey, Mike Neun, deine Braut sitzt bei uns. Und wenn du sie nicht holst, dann geht sie mit Cassandra Complex auf Tour“. Das war der Zeitpunkt, an dem ich wirklich am liebsten in Grund und Boden versunken wäre.

Letztendlich wurde ich doch noch gefunden. Allerdings war nicht dabei. Der war schlichtweg vor lauter Erschöpfung auf der Toilette eingeschlafen und nicht wach zu bekommen.


Das Ende der Geschichte:
Gleich nach der Party sind wir in die fränkische Schweiz geflüchtet und haben am nächsten Tag die Binghöhle besichtigt.
Den Mann hab lieb ich immer noch.
Die signierte Platte habe ich auf einem unserer Umzüge verloren.


Posted by L9 at 20:46 | Comments (9)